Heutzutage wird den verschiedensten Themen ein eigener Tag gewidmet – so auch dem Erzählen von Märchen. Letzte Woche, genau genommen am 26. Februar, stand zum Beispiel der „Erzähle-ein-Märchen-Tag“ im Kalender. Grund genug, noch einmal im unterfränkischen Sagenbuch zu blättern und den spannenden Überlieferungen aus der Region einen vierten Blogbeitrag zu widmen.
Die Schatzgräber von Greußenheim
Es war einmal, vor vielen Jahren, als ein unbekannter Wanderer in Greußenheim eintraf und den Bewohnern eine unglaubliche Geschichte erzählte. Er behauptete, mit Hilfe seines geheimnisvollen „Erdspiegels“ den versteckten Keller eines ehemaligen Raubritters unter dem alten Bauholz entdeckt zu haben. In dessen Tiefen, so sagte er, lägen unermessliche Reichtümer verborgen. Bei einem abendlichen Zusammentreffen in der Dorfkneipe fesselte er die Einwohner mit seiner Erzählung und weckte schnell das Interesse einiger Abenteuerlustiger.
Doch dieser Schatzsuche waren besondere Bedingungen auferlegt. Der Fremde erklärte, dass die Grabungen ausschließlich nachts stattfinden dürften. Das Tageslicht könnte die Schätze verblassen lassen und sie ihrer Werte berauben. Zudem musste während der Ausgrabungen absolutes Schweigen herrschen, da jedes Geräusch die Seelen der Raubritter stören und deren Rache heraufbeschwören könnte. Mit dem ersten Morgengrauen, signalisiert durch den Peitschenknall eines Bauern, müssten alle schweigend und unverzüglich den Heimweg antreten.
Nacht für Nacht zogen die Dorfbewohner daraufhin zum vermeintlichen Schatzort und gruben still in der Erde. Trotz wochenlanger Mühen fanden sie nichts. Eines Nachts wurden sie durch einen Peitschenknall aufgeschreckt – doch es war erst Mitternacht. Sie glaubten, ein Raubrittergeist habe sie zum Aufgeben bewegen wollen. Ein anderes Mal, bei tiefster Dunkelheit, meinten sie, das Nahen eines Ritterheeres zu hören. Feuerschein und Hilferufe erschütterten die Stille. Doch als sie dem Dorf zu Hilfe eilen wollten, lag dieses friedlich im Tal.
Entschlossen, sich nicht beirren zu lassen, setzten sie ihre Arbeit fort und entdeckten schließlich das ersehnte Mauerwerk und kurz darauf einen Durchbruch in das alte Kellergewölbe. Im schummrigen Licht schimmerten tatsächlich Schätze, wie vom Fremden beschrieben. Drei Mutige kletterten hinab und entdeckten eine schwere Truhe – wurden jedoch von einem riesigen, fauchenden Kater so erschreckt, dass sie die Flucht ergriffen und nie wieder zurückkehrten. Ein furchterregendes Getöse folgte, und die Schatzsucher verließen den Ort für immer, ohne je einen Teil des Schatzes zu bergen.
Die Sage von den „Langen Schranken“
In der Nähe von Schweinfurt, auf einer idyllischen Fläche, die heutzutage mit Obstbäumen bepflanzt ist, befand sich einst ein Turnierfeld der Ritter, bekannt als die „Langen Schranken“. Zu einem prächtigen Turnier, das dort abgehalten wurde und Ritter aus allen Richtungen anzog, erschien auch eine betörende Fremde, deren Anblick alle Anwesenden in ihren Bann zog. Ein junger Teilnehmer war von ihrer Schönheit so hingerissen, dass er jeden zum Duell forderte, der ihre Anmut nicht pries.
Er besiegte alle Herausforderer und gewann das Turnier. Der Preis sollte ihm von der geheimnisvollen Schönheit überreicht werden. Als er sich ihr näherte, um den Lohn entgegenzunehmen, wich er entsetzt zurück, als er ihr Lächeln sah: Sie hatte grüne Zähne! In dem Moment stieß sie einen schrillen Schrei aus, ihr Gewand löste sich und enthüllte ihre wahre Gestalt als die einer Meerjungfrau, die sich flink auf ihrem fischgleichen Unterkörper zum Fluss Main schlängelte und in die Fluten eintauchte, um nie wieder gesehen zu werden.
Der Ritter, zutiefst erschüttert von dieser Begegnung, legte seine Rüstung ab und schwor sich, fortan auf alle fleischlichen Freuden des Lebens zu verzichten und einem Mönchsorden beizutreten.
Die Glücksrute
Ein Mann namens Hanskurt aus Edelbach, gelegen im malerischen oberen Kahlgrund, hatte sich von seinem Vetter eine beachtliche Geldsumme geliehen. Als es an der Zeit war, das Darlehen zurückzuzahlen, stritt Hanskurt die Schuld ab. Der Vetter sah sich gezwungen, rechtliche Schritte einzuleiten, woraufhin der Richter Hanskurt zur Rückzahlung des Geldes nebst Zinsen verurteilte. Verärgert über dieses Urteil, begann er, seinen Vetter zu verachten, schwor Rache und suchte nach einem Weg, diese zu vollstrecken.
An einem Abend, als Hanskurt in der Gaststube über einem Krug Wein saß, erzählte er einem Trinkkameraden von seinem Rachewunsch. Dieser riet ihm, in der Heiligen Nacht in den Wald zu gehen und genau um Mitternacht eine Eichenrute zu schneiden. Mit dieser Rute könne er jeden nach Belieben züchtigen, egal wie weit entfernt die Person sei. Allerdings müsse er auf dem Weg dorthin und zurück „unberufen“ bleiben, sprich, niemand dürfe ihn ansprechen. Sonst würde der Zauber unwirksam oder könnte dem Besitzer der Rute Unglück bringen.
Hanskurt, begierig nach dieser Möglichkeit, machte sich an Weihnachten spät in der Nacht auf den Weg in den Wald. Kurz bevor er den Wald betrat, grüßte ihn ein Jägersmann, den er nicht kannte, mit den Worten: „Guten Abend, Hanskurt, wo hinaus so spät?“ Obwohl er verunsichert war, ging Hanskurt weiter und erreichte schließlich sein Ziel. Als die Kirchenglocken zur Mitternachtsmesse läuteten, schnitt er unter großer Anstrengung die Eichenrute und sprach einen Zauberspruch.
Kaum hatte Hanskurt den Wald verlassen, veranlasste ihn ein mulmiges Gefühl dazu, sich umzudrehen. Er sah den Jäger erneut, der ihm nun aber bedrohlich und seltsam größer erschien, diesmal jedoch kein Wort sagte. Er packte Hanskurt, flog mit ihm in die Lüfte und warf ihn dann zu Boden, so dass der Schuldner schwer verletzt wurde.
Am nächsten Morgen fand man Hanskurt, der nur noch gestehen konnte, was ihm widerfahren war, bevor er starb. Der Eichenstock lag zerbrochen in seiner Nähe.