Lange vor Netflix, Smartphone & Co. gab es eine andere Form der Unterhaltung: das Erzählen von Geschichten. Da ist es nicht verwunderlich, dass im Laufe der Jahrhunderte eine ganze Menge davon entstanden sind – so viele, dass auch ein dritter Teil von „Mythen und Sagen aus Unterfranken“ problemlos möglich ist.
Irrlichter in der Möhr
In der Nähe der Grettstadter Wiesen findet sich die „Möhr“, ein Wald, der wegen seinem sumpfigen Boden und seinen Moortümpeln diesen Namen trägt. Hier sollen im Dreißigjährigen Krieg einst schwedische Reiter auf dem Weg nach Schwebheim ums Leben gekommen sein: Sie gerieten vom Pfad ab und versanken mitsamt ihren Pferden im Morast. Seit diesem Tag sieht man in der Möhr im Spätherbst Lichter tanzen, eines für jeden ertrunkenen Reiter. Doch man soll sich hüten, diesen Lichtern zu folgen, denn sie locken Unvorsichtige in den tückischen Sumpf.
So versuchten sie einst auch bei einem Wanderer, der von der Nacht überrascht wurde und deshalb durch diesen Wald irrte. Es war so dunkel, dass er keine Sterne sehen konnte, aber hier und da tänzelten kleine Flammen über den Boden, die eine anziehende Wirkung hatten. Der Wanderer jedoch war gewappnet und wusste, welches Schicksal ihm abseits des Pfades blühen konnte. Er widerstand so lange, bis plötzlich Glocken durch die Nacht zu hören waren, die ihm genug Orientierung boten, um sicher ins Dorf zurückzukehren. Dort sah er, dass es eine Kirche war, deren Glockenklang ihn geleitet hatte. Aus Dankbarkeit veranlasste der Wanderer, dass zu dieser Zeit im Jahr jeden Abend eine Acht-Uhr-Glocke ertönt, um den Menschen zu helfen, die sich ebenfalls im Sumpf verirrt haben.
Der Obereisenheimer Teufel
In Obereisenheim war vor langer Zeit ein Mönch als Kellermeister zuständig. Er überprüfte regelmäßig die Weinfässer, die dort lagerten. Eines Tages fiel ihm auf, dass einige der Fässer, die am Vortag befüllt worden waren, über Nacht leerer wurden. Entschlossen, das Geheimnis zu lüften, legte der Mönch sich deshalb nachts auf die Lauer. Es dauerte nicht lange und er konnte den Weindieb stellen: Es war der Teufel, der sich auf ein Fass gesetzt hatte und sich an dem Getränk labte. Als er den Mönch erblickte, wollte er fliehen, doch der Geistliche schaffte es, den Schwanz des Teufels in einer Tür einzuklemmen und ihm für den Diebstahl eine Tracht Prügel zu verpassen. Der verzweifelte Dämon versprach deshalb, dem Mönch jeden Wunsch zu erfüllen, sollte er ihn gehen lassen, und der Mann Gottes ging darauf ein: Er verlangte, dass dem Obereisenheimer Weinberg jedes Jahr eine solche Hitze geschenkt würde, dass die Trauben zum Kochen gebracht und aus ihnen ein Wein entstehen würde, den man sonst nirgends finden könne. Laut der Sage hat der Teufel Wort gehalten, was die hohe Qualität des Weins aus Obereisenheim erklärt.
Aus dieser Erzählung ist übrigens eine Tradition entstanden: Ein ortsansässiger Winzer, der sich als Teufel verkleidet, begleitet die Weinprinzessinnen auf den Festen in der Nähe von Obereisenheim. Dabei trägt er einen „Teufelskelch“ mit sich, aus dem er die Gäste trinken lässt.
Der Bauernschreck
An einer Mündung der Aschaff soll vor über tausend Jahren ein Schloss gestanden haben, in der ein bösartiger Graf wohnhaft war. Er tyrannisierte seine Untertanen und behandelte sie mit einer solchen Ignoranz, dass er zum Beispiel absichtlich mit seiner Gefolgschaft über die frisch gepflügten und bepflanzten Felder der Bauern ritt. Bei Widerworten und Beschwerden ließ er die Aufsässigen in den Kerker werfen.
Sobald der Graf im hohen Alter nicht mehr ausreiten konnte, fuhr er mit einem Wagen durch die Gegend, jedoch immer noch über die mühsam bestellten Flächen der einfachen Leute. Eines Tages brauste sein Wagen über die Dorfstraße, auf der drei Jungen spielten. Boshaft lachend fuhr er über die Kinder hinweg und achtete nicht auf die Rufe der entsetzten Eltern. Da öffneten sich die Wolken und ein Blitz fuhr herab, traf den Wagen und verbannte ihn mitsamt den Pferden und des bösen Grafen in die Erde.
Ab diesem Tag wurde das Leben der Bauern leichter, denn die nachfolgenden Herrscher bemühten sich aufgrund dieses Vorfalls, nicht allzu streng und rücksichtlos zu sein. Dieses mahnende Beispiel konnte auch nur schwer vergessen werden, denn der böse Graf stieg einmal alle neun Jahre aus der Erde und fuhr um seine ehemalige Residenz – jedoch ohne noch ein einziges Mal die Äcker der Bauern zu berühren, die ihm sonst so egal gewesen waren.